Bahnreisen heute ist oft ein Erlebnis der besonderen Art. Es beginnt damit, dass der Wagen in einem von drei Fällen am anderen Ende des Bahnsteigs steht, als der (wohlgemerkt elektronische und damit eigentlich jederzeit leicht aktualisierbare) Wagenstandsanzeiger auf dem Gleisdisplay behauptet. Auch wenn B statt G harmlos klingt, in Stuttgart bedeutet das bei gern leicht bis heftig verspäteter Einfahrt des Zuges einen veritablen Hürdensprint vorbei an massenweise Mensch und Gepäck bis halb nach Bad Cannstatt. Aber gut, Bewegung ist gesund, und die Bahn sorgt sich eben ums Wohl ihrer Kunden.

Eine Perle der Yellow Press?

Eigentlich soll’s heute nicht um die ohnehin vielgescholtene Bahn gehen, sondern um eine wahre Perle der Gattung Yellow Press: Freizeit Exklusiv. Die September-Ausgabe davon hat nämlich ein freundlicher Fahrgast (oder Fahrgästin???) am Platz 75 im Wagen 12 zurückgelassen, auf den sich der Silver Surfer nach neuem persönlichem Ü54-Rekord über die 600 Meter verschwitzt-japsend fallen lässt. Ein Produkt aus dem Hause Burda Senator Verlag und laut Mediadaten pro (monatlicher) Ausgabe mehr als 140.000 Mal verkauft. Der Silver Surfer gehört leider nicht zur Kernzielgruppe. Denn Freizeit Exklusiv ist (wieder nach Angaben der Mediadaten) „gemacht für die sympathische Frau mitten im Leben, die mit aktuellen Berichten über Prominente dabei sein, sich mit vielen Rätseln unterhalten und mit aktuellen Ratgeber- und Gesundheitsthemen inspirieren lassen möchte“.

Soso. Aber Zielgruppe hin oder her, was die Royals und die Schönen und/oder Reichen so treiben, kann man(n) sich ja im dunklen Tunnel trotzdem mal klammheimlich anschauen. Zumal die Heads auf dem Titel zwei echte Knaller versprechen. „Scheidungs-Drama – Jagt er sie jetzt vom Hof?“ problematisiert die Beziehung zwischen Prinz Harry und seiner Frau Meghan. Während „Dieter Bohlen: Der gemeine Betrug – Nun muss er um seine Familie kämpfen!“  tiefe Einblicke in das Privatleben des „Pop-Titans“ signalisiert.

Den Besen vom Hof kehren

Weil der royale Harry irgendwie sympathischer wirkt, geht’s damit los. Und er hat auch ein schweres Los, der Harry, weiß Freizeit Exklusiv. Man stelle sich vor: Seine amerikanische Gattin hat Star-Allüren, drangsaliert das Personal und nervt die Nachbarn! Im Schwäbischen subsummiert man so etwas kurz und knapp unter der Bezeichnung „Besen“. Die Queen is not amused, und Freizeit Exklusiv hat beobachtet, dass Prinz Harry neulich schon ganz genervt an seiner Frau vorbeigeschaut hat. Welch tiefe Risse in der Fassade royaler Herrlichkeit! Und welch eine journalistische Glanzleistung des nicht genannten Verfassers (m/w/d) dieser epochalen Enthüllungsstory. Obwohl davon offensichtlich kein Borstenvieh gesprochen hat, schlussfolgert er/sie/es messerscharf, dass da doch eine „Blitzscheidung“ unmittelbar bevorstehen muss.

Trübe Sommerloch-Brühe für 1,10 €

Beim Dieter liefert Freizeit Exklusiv dann – jetzt schon überraschend – EINE ebenso überprüfbare wie richtige Tatsache. In einer millionenfach versendeten Spam-Mail wird behauptet, dass Bohlen sich bei DSDS zurückzieht, weil er eine Plattform für Kryptowährungen aufbaut. Wenn der Spam-Filter diesen Unfug nicht aus dem Verkehr zieht, merkt jeder Leser mit einem IQ oberhalb der Kühlschrank-Innentemperatur, dass es sich um Fake News handelt. Aber Freizeit Exklusiv macht da flugs einen „gemeinen Betrug“ draus, Yellow Press eben. Gleichzeitig weiß es, dass der Dieter jetzt „um seine Familie kämpfen muss“. Weil die Mitschüler seiner Kinder ihn für einen „Betrüger“ halten könnten. Mal abgesehen davon, dass Bohlens Kinder die meiste Zeit auf Mallorca verbringen und die Freizeit Exklusiv in den dortigen Kiosk-Auslagen erfreulicherweise ein Schattendasein führt. Wer seiner Leserschaft für 1,10 € eine derart trübe Sommerloch-Brühe anrührt, darf dann doch gern von der Digitalisierungswelle aus der Druckmaschine gespült werden.

Und wer PR-Leute als Informations-Visagisten betrachtet, weil sie der Wahrheit gerne mal ein bisschen rosigere Wangen verpassen, soll einfach den prüfbaren Informationsgehalt einer durchschnittlichen Presseinformation mit dem eines Artikels in Freizeit Exklusiv vergleichen. Dabei könnten wir schon auch einfach wirres Zeug erfinden: „Donald Trump begeistert von Freizeit Exklusiv: Amazing. Very good people, highly credible. Will soon be number 1 in German media“. Ist natürlich auch totaler Quatsch, aber wahrscheinlich wahrscheinlicher als die „Blitzscheidung“ bei Hofe. Und Freizeit Exklusiv gehört umetikettiert – vom angeblich journalistischen Produkt zum Märchenheft. Wobei man damit große Märchenerzähler und andere Phantasten beleidigen würde. Wenn schon Fake News im journalistischen Gewand, dann doch bitte so wie im „Willi Busch Report“. In diesem legendären Film aus den späten 70ern ist Thilo Prückner alias Willi Busch wenigstens noch in seinem gelben Messerschmitt-Kabinenroller durch die Lande gefahren und hat Telefonzellen angezündet, um coolen Nachrichten-Stoff für sein abgehalftertes Provinz-Blatt zu haben.

 


 

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