Ende 2017 herrscht Partystimmung am DIN-Platz in Berlin: Die Normung in Deutschland wird 100 Jahre alt. Wo bei den einen die Korken knallen, winken andere ab. Bürokratisch, behäbig, behördlich, im schlimmsten Fall sogar lästig – das ist das Framing, in dem sich das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN) kommunikativ bewegte. Normung und Standardisierung sind nun mal, wie sie sind: wenig sexy und zudem stark erklärungsbedürftig.

Vom Langweiler zum Sympathieträger

Reputation und Nutzen von Normung stehen also diametral zueinander. Um das zu ändern, beauftragte DIN uns. Der Auftrag: den Nutzen der Normung unter dem Aspekt „Innovationsförderung durch Standards“ verdeutlichen, Vorurteilen entgegenwirken und den Vorstand zu strategischen Themen positionieren. Die Ausgangslage war schwierig, DIN in den Medien wenig präsent – und wenn, dann mit eher negativer Konnotation. In einer unserer ersten Präsentationen vor dem DIN-Vorstand haben wir das Bild so beschrieben: „DIN ist der Langweiler, der auf jeder Party dabei ist, mit dem aber niemand reden will, und an den sich danach keiner mehr erinnert.“

Das Wunschbild sieht hingegen so aus: „DIN ist ein Sympathieträger – der nette Kumpel, der auf keiner Party fehlen darf, der weiß, wie man eine Feier am Laufen hält, der Streit schlichtet, hilfsbereit ist, tolle Geschichten erzählt. Er drängt sich nicht auf, steht nicht im Mittelpunkt, alle wollen ihn aber gern dabeihaben.“

Warum aber sollte DIN auf eine Party eingeladen werden? Dazu müssen wir kurz über die Aufgaben und die Bedeutung von Normung und Standardisierung für Wirtschaft und Gesellschaft sprechen. DIN ist seit mehr als 100 Jahren die unabhängige Plattform für Normung und Standardisierung in Deutschland und weltweit. Als privatwirtschaftlich organisierter Dienstleister bringt der eingetragene Verein unterschiedliche Interessengruppen an einen Tisch und steuert den Dialog sowie die gemeinsame Entwicklung und Überarbeitung von Normen und Standards. Dafür hat das Institut das offizielle Mandat der Bundesrepublik. Studien sprechen von einem jährlichen Nutzen der Normung von 17 Milliarden Euro für die deutsche Wirtschaft.

Kurz: Normung ist wichtig. Vor allem bei den konvergenten Themen – ja, mal wieder Industrie 4.0, Smart Cities, Smart Mobility und Digitalisierung – sind verlässliche Standards notwendig. „Made in Germany“ wäre ohne DIN nicht das, was es heute ist: eine Erfolgsgeschichte. Das alles kann DIN aber nicht alleine erreichen. Dafür braucht der Verein die Beteiligung der Wirtschaft, der Politik und die von Privatpersonen – als Experten und Mitglieder, die unter der Koordination des DIN ihr Wissen in den Normungsprozess einbringen. Und diesen Zielgruppen müssen wir beibringen, dass DIN nicht so ein verschnarchter Laden ist, wie viele glauben.

 

Zwei Pole: das Fachliche und das Emotionale

Daraus ergeben sich drei Kommunikationsziele: Bekanntheit steigern, positive Wahrnehmung von und Wissen über Normung fördern sowie das Unternehmensprofil schärfen und aktualisieren durch Konzentration auf ausgewählte strategische Themen. Das erreichen wir durch eine bipolare Fokussierung. Klingt nach einer schlimmen Krankheit, beschreibt den strategischen Ansatz aber ziemlich genau. Denn wenn es um Normung geht, sind unsere Zielgruppen bipolar. Das heißt, als Unternehmer, Ingenieur, Entwickler oder Wissenschaftler haben sie ein positives Bild von deren Nutzen. Ohne Normung würde vieles schlicht nicht laufen, Innovationen hätten keine Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg. Andererseits nervt dieselben Menschen aber das Bürokratische, Quadratische der Normung. Am heimischen Frühstückstisch schimpfen sie also über Normung und im Büro loben sie deren Vorzüge.

Diesem Widerspruch begegnen wir mit einer Nutzenargumentation auf der fachlichen Seite (Wirtschaftspresse, Wirtschaftsthemen) und mit einer emotionalen, humorvollen und selbstironischen Ansprache, wie Normung unser tägliches Leben sicherer, einfacher und verlässlicher gestaltet (in Tageszeitungen, Fernsehen, Radio, Special-Interest- und Lifestyle-Medien, Social Media). Hinter der thematischen Fokussierung steckt die Erkenntnis, dass DIN in fast allen Wirtschafts- und Lebensbereichen aktiv ist. Um das Profil der Organisation zu schärfen und die Marke auch inhaltlich zu verjüngen, konzentrieren wir uns auf Zukunftsthemen wie Industrie 4.0 und Smart Cities.

Daten und Handarbeit kombinieren

Operativ setzen wir auf eine Kombination aus datengetriebener PR und guter, alter Handarbeit. Wir haben dazu die enorme Themenbreite in ein detailliertes Themenmanagement überführt. Das hilft, Schwerpunkte zu setzen und den Fokus nicht aus den Augen zu verlieren. Dazu wurden Marktdaten, Daten der bisherigen Kommunikation und Potenzialdaten der einzelnen Themen herangezogen. In einem nächsten Schritt wurden diese dann in Beziehung gesetzt und so erfolgversprechende Themen-Cluster gebildet. Darauf baut ein Reputationsmanagement als Steuerungswerkzeug auf. Auf Basis von tagesaktuellen Key-Performance-Indikatoren (Reputationswerte zwischen minus 3 und plus 3) überprüfen und justieren wir die Schwerpunkte der Kommunikation immer wieder auf Ebene der Einzelthemen. So erkennen wir Reputationslücken. Damit sind Themen gemeint, die in der öffentlichen Reputation zwar hohe Werte erzielen, zu denen das DIN aber noch nicht kommuniziert.

Bei der taktischen Umsetzung haben wir auf solides PR-Handwerk, also Beziehungspflege gesetzt. Positionierung des Vorstandsvorsitzenden in drei Leitmedien (VDI Nachrichten, Handelsblatt und Wirtschaftswoche), Platzierung des Jubiläums in den Redaktionskalendern aller wichtigen Medien per Presseaussand sowie erfolgreiche Ansprache der dpa. Es folgte der gezielte persönliche Kontakt zu Leitmedien (Tagespresse, TV und Radio), die noch nicht berichtet hatten. Und das nicht nur zur Themenplatzierung, sondern auch für die Beziehungspflege. Dazu begleitend: stringente Kommunikation der Fachthemen an die Zielgruppen durch ständigen Abgleich mit Konzept und Themenmanagement dank des Reputation Cockpits. Und nicht zuletzt Ressourceneffizienz durch Mehrfachverwertung von kanalspezifisch aufbereiteten Inhalten auf den eigenen Kanälen. Social Media bespielen wir ebenfalls mit eigenen Content-Reihen.

Bei den leichten Themen Humor wichtig. So spielen wir mit den Erwartungen der Zielgruppe: „DIN? Das sind doch die mit DIN A4!“ Jawohl, das ist richtig und so heißt dann auch das Kundenmagazin: „A4“. Das Format ist allerdings DIN C5. Ein erster Hinweis darauf, dass beim DIN nicht alles so ist, wie man sich denkt. Für die Jubiläumsbroschüre haben wir für jedes der sechs Themen ein eigenes Format gewählt, von DIN lang quer über A6 bis A3. Inhaltlich geht es nicht nur um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern auch um zunächst absurde Normen, die uns schmunzeln lassen: beispielsweise die zur Büschelauszugsprüfung von Zahnbürsten oder die zum Abstand von Grillstäben. Letztere wirkt übrigens spätestens dann nicht mehr absurd, wenn die leckere Wurst kurz vor dem ersten Bissen abstürzt und in der heißen Kohle verbrennt. Und an dieser Stelle sei verraten: Eine Norm zur Krümmung von Gurken gibt und gab es nicht.

 

Ziele erreicht

Die Medien haben die DIN-Kommunikation dankbar aufgenommen. Nun müssen wir zugeben, dass wir quasi aus dem Nichts kamen. Vor der Kampagne gab es rund 95 Artikel im Jahr. Mittlerweile verzeichnen wir jährlich mehr als 3.500 Beiträge mit einer Reichweite von knapp 300 Millionen. 46 Prozent davon in Tageszeitungen, 44 Prozent online. Tonalität und Reichweite haben sich deutlich verbessert, mittlerweile ist die Berichterstattung grundlegend positiv. Lag die Gesamtreputation zum Start unter 1 (auf einer Skala von minus 3 bis plus 3), überschreiten wir in guten Monaten die 2, pegeln uns aber im Jahresschnitt bei 1,5 ein.

Durch unsere regelmäßigen Gespräche mit Journalisten erfahren wir aus erster Hand, dass sich das Wissen über Normung in den Redaktionen und in der Öffentlichkeit deutlich verbessert hat. Dabei hilft auch, dass wir in den „Tagesthemen“, in „ZDF heute“ und anderen Fernsehsendungen vertreten waren und alle großen Tageszeitungen teilweise mehrseitige, positive und mitunter humorvolle Beiträge über Normung veröffentlicht haben. Was das DIN zudem freut, ist der Mitgliederzuwachs von mehr als zehn Prozent pro Jahr.

DIN-Medien
Die Medien haben die DIN-Kommunikation dankbar aufgenommen.

Klassische PR übertrumpft Social Media

Datengetriebene PR für die Analyse und die tägliche Steuerung ist sehr leistungsfähig und hat uns bei der Strategieentwicklung gut unterstützt. Allerdings – und das hat auch die Arbeit für DIN bestätigt – ersetzt sie nicht die Beziehungspflege zu Stakeholdern und das PR-Handwerk. Kurzum: Wir sprechen sehr viel mit Redaktionen, entwickeln Geschichten, bieten diese an, vereinbaren Interviewtermine, putzen viele Klinken und holen uns auch die eine oder andere blutige Nase.

Anfangs hatten wir Social Media deutlich mehr Wirksamkeit zugetraut. Nach fast zwei Jahren zeigt sich, dass sie etwas bewegen – in der B2B-Kommunikation im Allgemeinen und beim DIN im Besonderen allerdings oft weniger und langsamer als anderswo. Der Aufbau einer Normungs-Community geht schleppend voran und die Interaktionsrate ist ausbaufähig, auch wenn wir insgesamt die richtigen Personen erreichen. Wenn dann noch hinzukommt, dass Social Media bei einem Großteil der spitzen Zielgruppe vorzugsweise als privater Entertainment-Kanal empfunden werden, erklären sich die Ergebnisse, die wir als Spezialisten für B2B-PR in der Tendenz auch bei anderen Kunden beobachten.

 


 

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