„Wie können wir die eigenen Arbeits- und Produktionsprozesse effektiver und effizienter gestalten?“ Diese Frage stellen sich Unternehmen aller Industriezweige bereits seit Beginn des modernen Wirtschaftens. Die Weiterentwicklung im Zuge der Digitalisierung stellt aber viele vor Herausforderungen. Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist die sogenannte vierte industrielle Revolution, kurz Industrie 4.0. Der Begriff bezeichnet, wie der Name schon sagt, den vierten großen Schritt in der Weiterentwicklung der Industrie: Schritt eins war die Mechanisierung mittels Wasser- und Dampfkraft, Schritt zwei bestand in der Massenfertigung mithilfe von Fließbändern und elektrischer Energie, Schritt drei war die Einführung von IT zur elektronischen Steuerung von Maschinen und Automatisierung einzelner Produktionsschritte. Bis zu diesem Punkt sammelten Unternehmen die Daten über jegliche Arbeitsschritte der Produktion auf zwei Ebenen: der Feldebene und der Steuerungsebene. Mit der Industrie 4.0 und der damit verbundenen Digitalisierung aller Informationen kommt eine dritte Ebene hinzu: die Systemebene.
Was bisher geschah: Daten erfassen und transportieren
Auf der Feldebene werden Daten im Einsatz gewonnen. Ein einfaches Beispiel ist der Tank in einem Auto: Ein Sensor misst den Füllstand. Eine Ebene „darüber“, auf Steuerungsebene, werden die vom Sensor gewonnenen Informationen verarbeitet und dorthin transportiert, wo sie benötigt werden. Der Sensor übermittelt elektronisch die gewonnenen Daten an die Tankanzeige, so wird der Fahrer informiert. Es gibt zwei Arten von Daten: Prozessdaten und Servicedaten. Zu den Servicedaten kann in unserem Beispiel etwa der Durchschnittsverbrauch pro Kilometer gezählt werden. Der Fahrer kann auf Basis dieser Daten seine Fahrweise anpassen. Prozessdaten hingegen werden unmittelbar ausgewertet, denn hier geht es um Funktionsfähigkeit und Sicherheit von Maschine und Anwender („Läuft alles, wie es soll?“). Kommt es zu einer Fehlfunktion, ergreift die Maschine selbst Schutzmaßnahmen, schaltet sich etwa bei Überhitzung ab – eine Funktion, die häufig bei Elektrowerkzeugen zum Einsatz kommt.
Neu: Zusammenhänge herstellen
Mit der dritten Ebene, der Systemebene, erhalten die gewonnenen Daten im wahrsten Sinne des Wortes einen ganz neuen Zusammenhang: Denn mit der Möglichkeit, dass Maschinen Daten direkt an übergeordnete Systeme oder in die Cloud schicken, können die Daten unterschiedlicher Maschinen, Anlagen und ganzer Fertigungen miteinander in Beziehung gesetzt werden (Big Data). Diese Vernetzung der Geräte untereinander und das Bündeln der Daten in der Cloud ist das Internet der Dinge (IOT) – übertragen auf die Industrie das Industrielle Internet der Dinge (Englisch: Industrial Internet of Things, kurz IIOT). Beim Internet der Dinge ist beispielsweise zu Hause die Heizung mit dem automatischen Rollladen und dem Rauchwarnmelder an ein gemeinsames Smart-Home-Netz angeschlossen, das von einer zentralen Einheit aus steuerbar ist. Beim Industriellen Internet der Dinge sind es etwa unterschiedliche Fertigungsmaschinen in einer Fabrik, die mit anderen Maschinen der Fertigungskette in Verbindung stehen.
Digitale Ökosysteme und Plattformen
Die gesammelten Daten von Maschinen eines solchen digitalen Ökosystems laufen an einer Stelle des Systems zusammen. Software-Plattformen stellen die Daten zentral bereit, damit Unternehmen jederzeit und von überall aus darauf zugreifen können. Die Systemebene erfüllt zwei Arten von Funktionen: einerseits das Sammeln, Verdichten und Steuern der generierten Daten. Das ermöglich ein stetes Condition-based Monitoring (CBM), zu Deutsch eine Zustandsüberwachung der Maschine. Außerdem können etwa Produktionsleiter bei der Fertigung von Auto-Komponenten genau verfolgen, an welcher Stelle in der Produktion noch effizienter gearbeitet werden kann und dahingehend den Arbeitsprozess anpassen.
Die zweite Funktion des Systems ist das aktive Eingreifen in die Steuerung, falls die kontextuelle Analyse ergibt, dass dies nötig ist. Beispielsweise erkennt das System beim CBM auf Basis der gewonnenen Daten über alle Fertigungsmaschinen einer Anlage, dass eine bestimmte Maschine ihre durchschnittliche Lebensdauer erreichen wird. Das System die Bestellung von Ersatzteilen direkt veranlassen – sofern es die nötigen Rechte dafür besitzt. So kann das System sogar ohne Einschreiten einer Person handeln. Je schlauer das System, desto autonomer.
Neue Produktions- und Geschäftsmodelle
Aus dieser Weiterentwicklung durch die Digitalisierung ergeben sich somit drei Vorteile für das Enterprise Resource Planning (ERP), also die Planung von Zeit und Ressourcen eines Unternehmens oder einer Abteilung. Prozesse können:
- visualisiert
- optimiert und
- automatisiert werden.
Der Grad an Transparenz jedes Arbeitsschrittes wird damit höher denn je. Das ermöglicht eine konstante, schnellere und bessere Anpassung der Arbeitsschritte. Außerdem ergeben sich durch das Internet der Dinge neue Geschäftsmodelle: Unternehmen öffnen ihre Plattformen zunehmend für Kunden oder nutzen die entsprechenden Kundenplattformen, um mit ihnen gemeinsam ihre Produkte und Lösungen weiterzuentwickeln. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das cloudbasierte, offene IoT-Betriebssystem Siemens MindSphere, das Produkte, Anlagen, Systeme und Maschinen verbindet und Entwicklern und Nutzern Zugriff auf die Daten ermöglicht.
Bedeutung für Unternehmen und Kommunikation
Die Digitalisierung birgt viel Potenzial für die Weiterentwicklung von Unternehmen, verstärkt aber auch den Wettbewerb. Die Prozesse beschleunigen sich. Unternehmen stehen unter Druck, schnell noch besser zu werden, neue Möglichkeiten der effizienten und effektiven Produktion und ein noch besseres Produkt zu entwickeln. Durch das hohe Maß an Transparenz steht das Handeln der Unternehmen mehr denn je unter öffentlicher Beobachtung. Unternehmen, die sich diesem Rennen verweigern, riskieren ihre Licence to operate – also die gesellschaftliche Akzeptanz, auf der die Reputation des Unternehmens gründet. Denn der digitale Wandel lebt von der Idee der Disruption ganzer Branchen.
Klare Botschaften, persönlicher Bezug
Das Thema ist also sensibel: Unternehmen müssen proaktiv gegenüber Stakeholdern über ihren Fortschritt berichten – was bei einem so komplexen und konvergenten, also alle Lebensbereiche betreffenden und zusammenführenden Thema wie diesem nicht einfach ist. Das zeigt auch die Digitalisierungsstudie von Communication Consultants und VICO über den Deutschen Mittelstand: Über die eigene Digitalisierungskompetenz kommunizieren Unternehmen noch wenig und eher produkt- und technikgetrieben, statt die Zielgruppen bei ihrem persönlichen Bezug und Wissensstand abzuholen. Nur zwei Prozent der Kommunikation zum Thema Digitalisierung des Deutschen Mittelstands kommt von den Unternehmen selbst (siehe Grafik).
Es gilt für die Kommunikation, hoch technische Zusammenhänge verständlich zu machen. Und das nicht nur nach außen: Auch intern müssen die Mitarbeiter abgeholt werden. Denn die Belegschaft muss die schnelle Anpassung auch leben und umsetzen. Veränderung wird zum Dauerzustand – und mit ihr die begleitende Kommunikation. Neue Kompetenzen in der Softwareentwicklung werden wichtiger. Es benötigt Schulungen, Fortbildungen und Unternehmergeist, die eigenen Prozesse ständig zu hinterfragen und zu optimieren. In drastischen Fällen müssen Unternehmen bereit sein, sich angesichts von Digitalisierung, IIoT und Industrie 4.0 komplett umzustrukturieren. Eine spannende Herausforderung – jetzt und für die Zukunft.
Digitalisierung der Industrie – Teil eins und zwei
Dieser Beitrag hat die Theorie der Industrie 4.0 und des Industrial Internet of Things betrachtet (Teil 1). Wie genau das IOT/IIOT von einem Unternehmen eingesetzt wird, um die eigenen Arbeitsprozesse und das Produktportfolio weiterzuentwickeln, das hängt vom Industriezweig und konkreten Anwendungsfall ab. In einem weiteren Blogbeitrag (Teil zwei) werden wir auf konkrete Anwendungsfälle und Best Practices eingehen.