Erinnert sich noch jemand an den Otto-Katalog auf Omas Wohnzimmertisch? Was war das für ein Fest, als die neueste Ausgabe erschien: durch die vielen Seiten zu blättern, vorbei an den Schuhen, etwas verschämt durch die Dessous-Abteilung, schnurstracks zu den Spielzeug-Seiten – die solvente Oma nur wenige Schritte entfernt.
Kaum zu glauben, dass Otto den Druck des Katalogs erst Ende 2018 eingestellt hat. Die Bestellungen, die sich auf den Katalog bezogen, machten nur noch einen einstelligen Anteil am Umsatz aus, 95 Prozent aller Otto-Kunden orderten digital. Die Erstauflage aus dem Jahr 1950 umfasste gerade einmal 300 Stück, mit 14 Seiten, 28 Paar Schuhen und von Hand eingeklebten Fotos. Zum Vergleich: Um die Jahrtausendwende landeten rund zehn Millionen Exemplare mit knapp 1.000 Seiten in deutschen Wohnzimmern.
Warum hat es trotzdem so lange gedauert, bis Otto sein Werbe-Flaggschiff abgeschafft hat? Vielleicht aus Marketing- und Nostalgie-Gründen, aber vielleicht auch, weil Print wirkt. Durch etwas Gedrucktes zu blättern – das hat was. Da spielt es auch keine Rolle, ob es die dünnen Seiten eines Katalogs, die der Lieblings-Wochenzeitung oder des neuesten Hochglanz-Magazins sind. Wer heute gedruckte Medien liest, entscheidet sich ganz bewusst für dieses Format. Nur: warum?
Totgesagte leben länger
Der Abgesang journalistischer Print-Medien dauert schon vergleichsweise lange. Das untermauern sinkende Auflagen: Die BILD beispielsweise verkaufte sich im vierten Quartal 2013 noch 2,44 Millionen Mal. Ende 2021 waren es noch 1,19 Millionen. Beim Spiegel sind es Einbußen von mehr als einem Drittel im Vergleich zu 1995. Nur wenigen Produkten gelingt es, sich erfolgreich im Haifischbecken Print-Markt freizuschwimmen. Dazu zählen Titel wie „Stern GESUND LEBEN“ (absoluter Zuwachs in Q4/2021 um rund 33.000 Stück), „Total tierlieb!“ (Q4: +21.000) oder „Prinzessin Lillifee“ (Q4: +18.000).
Lieber länger lesen
Vielleicht lässt sich mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ einer der Vorteile von Print-Medien erklären. Die Zeit nimmt sich selbige: für lange, gut recherchierte Artikel, für Qualitätsjournalismus, für Pro und Contra. Wer solche Artikel liest, ist seinerseits gerne bereit dazu, sich eine Auszeit vom Alltag zu nehmen und abzutauchen in die jeweiligen Themen. So etwas am Smartphone – undenkbar. Was heißt das für Unternehmen? Längere, erklärungsbedürftige Themen sind in Print-Magazinen hervorragend aufgehoben. Ein Interview mit dem Vorstand zur Unternehmensstrategie, die Erklärung dazu, warum das Unternehmen in den USA expandiert und in Europa nicht – solche Themen eignen sich sehr gut für die Print-Langstrecke.
Gute Inhalte brauchen Platz
Überhaupt ist der Platz ein weiterer Punkt, der für Print-Medien spricht. Eine spannende Infografik, ein vollflächiges, doppelseitiges Bild in einem Magazin, oder ein sehr cleanes, nüchternes Layout, wie es das Wirtschaftsmagazin brand eins perfektioniert hat: All das wirkt in Print und abseits von Pixeln und Responsive Designs besser. Zudem sind solche Inhalte nicht mit einem schnellen Wisch aus dem Smartphone geschoben.
Hallo Haptik!
Bleiben wir beim Wischen, Blättern und Anfassen: Viele Leserinnen und Leser schätzen es, wenn sie in zunehmend digitalen Zeiten kein Gerät in der Hand halten müssen, um zu lesen. Die aktuelle Wochenendzeitung am Samstag am Kiosk zu holen, zusammenzurollen, in den Rucksack zu stecken, zu Hause bei einer guten Tasse Kaffee durchzublättern oder auf der Zugfahrt zu lesen – hier verschafft Print ein haptisches Erlebnis, das digitale Medien nicht vermitteln können. Gerade im Corporate-Publishing-Bereich lässt sich über die Haptik das gewisse Etwas transportieren: So beeinflussen die Stärke des Papiers oder auch die Art der Bindung maßgeblich die haptische Qualität eines Mediums – und damit das Leseerlebnis. Darüber hinaus steht ein hochwertiges Print-Produkt auch für Wertschätzung der Zielgruppe: Das Unternehmen ist bereit, in die Gestaltung und Aufmachung Geld zu investieren und eben nicht der Massen-E-Mail den Vorzug zu geben.
Print für Corporate Publishing
Überhaupt die Zielgruppe: Sie wird durch Print mindestens genauso gut erreicht wie über digitale Kanäle – manchmal vielleicht sogar besser: Viele Unternehmen beschäftigen überproportional viele Mitarbeitende in der Produktion. Sie regelmäßig auf digitalem Weg mit internen Informationen zu versorgen, ist schwierig. Ein klassisches Mitarbeitermagazin lässt sich auslegen, zuschicken, verteilen – und fällt zu Hause vielleicht auch mal der Partnerin, den Kindern oder der Schwiegermutter in die Hände. Das Magazin informiert, zahlt auf die Bindung der Mitarbeitenden zum Unternehmen ein und stärkt die Marke auch im Familien- und Bekanntenkreis. Mehr geht doch kaum!
Endlich mal entspannen
Auch das Thema Entspannung dürfte für den Konsum von Print-Medien sprechen. Falls Sie es schon lange nicht mehr gemacht haben: Nehmen Sie ihre Lieblingszeitschrift am Kiosk mit nach Hause (wenn es sie noch gibt) und wir garantieren Ihnen: In der Zeitschrift müssen Sie keinen Cookies zustimmen und es legt sich keine aufpoppende Werbung über Ihren Artikel. Ihr Lesefluss wird auch nicht unterbrochen von der nächsten Push-Meldung auf WhatsApp & Co. Wenn Unternehmen (ent)spannende Themen in Print-Produkten aufbereiten wollen, müssen sie von der Zielgruppe her denken: Für welche Inhalte sind Leserinnen und Leser bereit, gerade auch im privaten Umfeld Unternehmensmedien zu konsumieren? Meist sind das Inhalte, die sich von den reinen Unternehmensthemen lösen. So funktionieren beispielsweise Reportagen, Bilderstrecken oder auch Interviews, die nicht im direkten Zusammenhang mit den Unternehmen stehen, hervorragend.
Fazit
Und nun? Lang lebe Print? Für uns als Agentur ist es wichtig, die Vorteile der unterschiedlichen Medien aus Sicht unserer Kunden zu bewerten und optimal zu nutzen. Wir denken crossmedial: Print-Medien stehen nie alleine, aber sie können in digitalen Zeiten eine angenehme, gut lesbare und attraktiv gestaltete Abwechslung zu Website, Social-Media-Kanälen und Co. bieten. Für Sie als Konsumenten: Sie haben die Wahl! Nutzen Sie sie und wählen Sie das, was Sie konsumieren, mit Bedacht und mit Blick auf Ihre persönlichen Lese-Vorlieben aus – nur den Otto-Katalog, auf den müssen Sie leider verzichten.